Interview zu Online-Glücksspiel: “Statistisch gesehen sind Männer zwischen 20 und 35 Jahren besonders gefährdet”

14. Januar 2023
Mitte 2021 wurde der Online-Glücksspielmarkt in Deutschland liberalisiert. Wir vom VSVBB haben Dr. Steffen Otterbach, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim, über seinen Blick auf diese Thematik gesprochen.
Dr. Steffen Otterbach ist Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim.

Die Universität Hohenheim untersucht das Spielverhalten von Glücksspielern bereits seit Jahren. Was reizt Menschen so sehr an Glücksspiel?

Das kann sich unterscheiden, je nachdem, um welches Spiel es sich handelt. In Umfragen stehen meist die Motive „Geld gewinnen“ und „Spaß haben“ im Vordergrund. Bei Lotto wird oft davon gesprochen, dass man sich mit der Teilnahme eine „Lizenz zum Träumen“ kauft. Bei Sportwetten wird oft suggeriert, dass es mit sportbezogenem Wissen und Kenntnissen möglich sei, das Ergebnis richtig vorherzusagen und Geld zu verdienen. Sportwetten bieten damit für viele auch den Anreiz, mit Fachwissen vor anderen glänzen zu wollen – wobei eigentlich jedem von vornherein klar sein müsste, dass in der Regel der Anbieter gewinnt, ansonsten könnte es das Angebot ja gar nicht geben.

 

Wann kann Glücksspiel zu einem Problem werden?

Glücksspiel wird grob gesagt dann zum Problem, wenn es zu viel Raum im Leben einnimmt, wenn es die eigene Lebensführung beeinträchtigt und man sich selbst und andere in Mitleidenschaft zieht, aber trotzdem nicht aufhört zu spielen. Anzeichen für problematisches Spielverhalten können u. a. sein: finanzielle Probleme, Lügen, gedankliche Abwesenheit, Schlafprobleme, Reizbarkeit, usw. Im schlimmsten Fall sehen die betroffenen Personen keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage; das kann bis hin zum Selbstmord führen.

 

Wer ist besonders gefährdet, spielsüchtig zu werden?

Statistisch gesehen sind Männer zwischen 20 und 35 Jahren besonders gefährdet, vor allem, wenn sie eine Migrationsgeschichte mitbringen. Sportwetten sind oft für Personen gefährlich, die selbst aktiv Sport treiben. Aber natürlich kann übermäßiges Glücksspiel auch für Frauen oder für ältere Personen zum Problem werden, wenn bspw. gespielt wird, um einschneidende negative Lebenserfahrungen wie den Verlust des Partners oder der Partnerin zu verdrängen, oder um der Einsamkeit zu entgehen.

 

In den vergangenen Jahren hat sich auch die Glücksspielbranche immer digitaler aufgestellt. Gehen damit für Spieler eher Vor- oder Nachteile einher?

Online-Spiele können an jedem Tag 24 Stunden lang gespielt werden, an jedem Ort und mit verschiedenen Geräten… Das macht sie für viele interessant, aber eben auch risikoreicher. Und für Menschen, die Probleme mit dem Online-Glücksspiel entwickeln, ist es schwierig, mit dem Spielen aufzuhören, da die Angebote auch durch die Werbung ständig präsent sind.

 

Virtuelle Automatenspiele, Online-Casinos und Poker-Websites waren zwischen 2012 und 2021 nur in Schleswig-Holstein legal. Welche Lehren konnten aus dieser Sondersituation gezogen werden?

Eine tolle Frage, da wir an der Forschungsstelle Glücksspiel unter anderem die Safe Server-Daten aus Schleswig-Holstein auswerten, sozusagen die „Mitschriften“ der Spielsessions. Überrascht hat uns, in welch unterschiedlicher Art und Weise die Anbieter die geforderten Angaben abgeliefert haben, obwohl es sich eigentlich um ganz banale Daten handelt, also bspw. Anfangs- und Endzeit einer Spielsession, Art und Anzahl der gespielten Spiele usw. Ganz wichtig wäre es, dass die Behörden genau vorgeben, in welcher Form die Informationen abzugeben sind. Ansonsten lässt sich kaum überprüfen, ob die Anbieter ihren Aufgaben – gefährdete Menschen zu identifizieren und mit ihnen Kontakt aufzunehmen – auch nachkommen. Das wäre eine verpasste Chance.

 

Durch den neuen Glücksspielstaatsvertrag wurde Online-Glücksspiel unter strengen Voraussetzungen in ganz Deutschland liberalisiert. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Durch den Glücksspielstaatsvertrag ist es möglich geworden, auch an legalen Online-Glücksspielen teilzunehmen. Den meisten Online-SpielerInnen war zuvor vermutlich gar nicht klar, dass sie sich bestenfalls in einem Graubereich bewegten. Ob man mit Verboten zu einem guten Ergebnis gekommen wäre, sei dahingestellt. Nun sollten wir das Beste aus der geltenden Gesetzeslage machen. Dabei ist es wichtig, entschlossen gegen das illegale Angebot vorzugehen. Aber auch beim legalen Angebot muss man immer wieder prüfen, ob sich die Anbieter an die Vorgaben halten.

Um eine deutsche Glücksspiellizenz können sich auch Unternehmen bewerben, die in den vergangenen Jahren deutsche Gesetze ignoriert und hierzulande illegale Glücksspiel-Websites betrieben haben. Verdienen diese Firmen wirklich eine zweite Chance?

Das könnte ein Ansatzpunkt für einen strengeren Vollzug sein. Andererseits kann ein Unternehmen schnell umbenannt werden oder umfirmieren. Die Aufsicht über das Online-Glücksspiel ist ein schwieriges Feld. Ich hoffe und wünsche, dass die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) dabei erfolgreich ist.

 

Was erhoffen Sie sich von der neugeschaffenen Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder?

Schon jetzt erfreulich finde ich die hohe Sichtbarkeit der Behörde. Ich wünsche mir eine klare Kommunikation, transparente Regeln und einen effektiven Vollzug. Wichtig wäre mir auch, dass das komplexe Feld der Online-Glücksspiele bei den VerbraucherInnen ankommt und verständlich wird. Ob die Trennung zwischen Online- und stationärem Spiel wirklich für jedermann verständlich ist, wage ich zu bezweifeln. Das A und O ist jedoch der Umgang mit den Anbietern.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der deutschen Glücksspielbranche?

Ich würde mir einen faireren Umgang miteinander wünschen, seitens bestimmter Glücksspielanbieter auch weniger Lobbyismus. Auch die Strategie, Spielprobleme als alleiniges und persönliches Versagen des Betroffenen darzustellen, finde ich absolut unangebracht.