Stromio, Gas.de und Grünwelt Energie – was betroffene Verbraucher bei überraschenden Kündigungen tun können
Viele Kunden der Stromanbieter Stromio, Gas.de und Grünwelt Energie erlebten im Dezember letzten Jahres eine böse Überraschung und sehen sich nun zum Teil kaum tragbaren Mehrkosten ausgesetzt. Über Nacht kündigten die Energieversorger betroffenen Kunden die Verträge, infolgedessen mussten diese auf die teure Grundversorgung und andere Stromanbieter ausweichen.
Der VSVBB klärt auf, ob und wann Betroffenen ein Schadensersatzanspruch zusteht und wie dieser durchgesetzt werden kann.
-
Bereits im Jahr 2019 kündigte der Unternehmensinhaber rund 17.000 seiner britischen Stromkunden.
-
Betroffene Verbraucher können die durch die Kündigung entstandenen Mehrkosten zurückfordern.
-
Der VSVBB hat Ihnen hierfür eine entsprechende Mustervorlage zum Download bereitgestellt.
Zahlreiche Energieverträge über Nacht gekündigt
Im Dezember letzten Jahres kündigten die Stromanbieter Stromio, Gas.de und Grünwelt Energie nahezu sämtlichen Kunden die Energieverträge. Als Grund hierfür wurden “explosionsartig angestiegene Energiepreise” angegeben, welche eine Fortführung des Vertrages vermeintlich unmöglich machten.
Sämtliche der genannten Unternehmen gehören derselben Person und treten am Markt lediglich als Vermittler auf, produzieren also selbst weder Strom noch Gas. Hinsichtlich der tatsächlichen Gründe für die Kündigungen kann derzeit nur gemutmaßt werden. So ist es möglich, dass sich die Unternehmen tatsächlich mit ihren – oft durchaus günstigen – Angeboten verschätzt haben. Teilweise wird jedoch auch vermutet, dass die Unternehmen Strom und Gas schon lang im Voraus eingekauft hätten und nur deshalb kündigen, weil sich diese die momentan durch einen Verkauf möglichen Profite nicht entgehen lassen wollen.
Nicht die erste Kündigungswelle seitens des Unternehmensinhabers
Dafür, dass die Unternehmen ihre Kunden nicht aus der Not heraus kündigen mussten, sprechen zumindest die Bilanzen der Anbieter. So erwirtschafteten die Unternehmen Stromio und Gas.de nach Recherchen des Spiegels allein im Jahr 2019 etwa 111 Millionen Euro Profit bei einer Umsatzsumme von ca. 1,1 Mrd. Euro.
Auch sind die plötzlichen Kündigungen kein Einzelfall. Alle drei Unternehmen gehören dem Unternehmer Ömer Varol, welcher auch in Großbritannien ein Energieunternehmen namens Brilliant Energy Supply leitete. Auch hier kam es nur kurz nach Varols ausscheiden im März 2019 zu Massenkündigungen. In deren Folge mussten die ca. 17.000 Kunden ihren Strom durch einen deutlich teureren Anbieter beziehen.
Ob das Beispiel des Unternehmers angesichts des angespannten Energiemarktes auch bei anderen Versorgern Schule macht, bleibt abzuwarten.
Ein Energieausfall ist nicht zu befürchten
Einen Entfall Ihrer Energieversorgung gilt es trotz Kündigung nicht zu befürchten. Stoppt Ihr Energieversorger die Belieferung wird diese nämlich automatisch durch einen sogenannten Grundversorger übernommen.
Wer als Grundversorger auftritt, hängt dabei von Ihrem Wohnort ab. Grundversorger ist nämlich immer das Unternehmen, welches in einem Netzgebiet die meisten Kunden beliefert. Doch nicht immer tritt dasselbe Unternehmen für Strom und Gas als Grundversorger auf. In Berlin wäre etwa Vattenfall als Grundversorger für Strom, Gasag aber als Grundversorger für Gas zuständig.
Wechsel in die Ersatz- bzw. Grundversorgung kann beträchtliche Mehrkosten zur Folge haben
Die nach einem Belieferungsstopp seitens Ihres Anbieters durch den Grundversorger übernommene Energielieferung wird als Ersatzversorgung bezeichnet. Diese kann bis zu drei Monate fortgeführt werden und ist jederzeit fristlos kündbar. Erfolgt kein Anbieterwechsel (vom Grundversorger zu einem anderen Anbieter) werden Sie automatisch in den Grundversorgungstarif überführt. Hier gilt dann eine Kündigungsfrist von zwei Wochen.
Gerade in Zeiten tatsächlich explodierender Energiekosten kann die Inanspruchnahme der Ersatz- oder Grundversorgung erhebliche Mehrkosten zur Folge haben. Oft übersteigt die Masse unverhoffter Neukunden die vorhandenen Ressourcen der Grundversorger und diese müssen zusätzliche Energie zu aktuellen Preisen am Markt einkaufen.
Von einigen Unternehmen werden diese gesteigerten Kosten in Form von gesonderten Ersatz- bzw. Grundversorgungstarifen an Neukunden weitergegeben. Die schon vorher im Vergleich zum Normaltarif teurere Ersatz- bzw. Grundversorgung erfährt also nochmals eine Preissteigerung.
Ein extremes Beispiel dafür, welche Auswirkungen diese Preissteigerungen haben können, ist ein Verbraucher, welchen der Tagesspiegel interviewte und der ebenfalls von einer Kündigung durch Gas.de betroffen ist. Statt 250 Euro erhielt dieser allein für den Dezember 2021 eine Gasrechnung in Höhe von fast 1000 Euro. Für viele Verbraucher dürfte ein solcher Kostenanstieg nicht oder zumindest nur mit großen Schwierigkeiten zu bewältigen sein.
Zulässigkeit unterschiedlicher Tarife umstritten
Die Zulässigkeit unterschiedlicher Tarife in der Ersatz- bzw. Grundversorgung ist derzeit noch unklar. Am 18.02.2022 entschied das Landgericht Frankfurt erstmals gegen die Rechtmäßigkeit der Ungleichbehandlung von Neu- und Bestandskunden und stellte sich hiermit gegen die Rechtsansicht der Landgerichte Berlin, Köln und Leipzig.
Abzuwarten bleibt, ob sich die Rechtsaufassung des Frankfurter Landgerichts durchsetzt. Sollte dies der Fall sein könnten betroffene Verbraucher auf eine Rückerstattung der Differenz zum Bestandskundentarif hoffen.
Kern des Rechtsstreits ist die Auslegung des Paragraphen 36 des Energiewirtschaftsgesetzes. In diesem heißt es: “Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung […] bekannt zu geben und […] zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.”
Ob mit allgemeinen Preisen für jeden Haushaltskunden gleiche Preise für sämtliche Kunden im Grundversorgungstarif gemeint sind oder das Gesetz auch die Bildung verschiedener Preiskategorien innerhalb der Tarifgruppe zulässt, wird nun durch zukünftige Urteile zu klären sein. Sämtliche der bisherigen Entscheidungen beruhen auf Eilverfahren und ergingen lediglich in Beschlussform.
Kündigungen von Stromio & Co. sind nach Auffassung des VSVBB rechtswidrig
Nach Auffassung des VSVBB ist davon auszugehen, dass der Großteil der Kündigungen seitens der Energieversorger rechtswidrig erfolgte. Durch ihr Angebot übernahmen diese gerade das Risiko, dass sich die Energiepreise im Laufe der Vertragslaufzeit verändern. Für eine Kündigung allein aufgrund des Umstandes, dass sich das übernommene Risiko nun tatsächlich verwirklicht hat, fehlt es an jeglicher Rechtsgrundlage.
Anders liegt der Fall nur dann, wenn die Kündigung zum Ablauf der festgelegten Vertragslaufzeit erfolgte. Die Möglichkeit einer solchen Kündigung war Inhalt des Vertrages und begründet daher keinen Schadensersatzanspruch.
Urteile zu dem Sachverhalt liegen derzeit noch nicht vor. Zahlreiche Anwälte und andere Verbraucherschützer teilen unsere Ansicht jedoch und auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft verurteilte das Vorgehen der Billig-Anbieter deutlich.
Bei außerordentlicher Kündigung steht Verbrauchern oft ein Schadensersatzanspruch zu
Betroffenen Verbrauchern steht ein Schadensersatz zu, wenn diese in Folge der außerordentlichen Kündigung zu einem teureren Energieanbieter wechseln mussten oder Mehrkosten der Ersatzversorgung zu tragen hatten. Grund für den Schadensersatzanspruch ist nämlich, dass der Vertrag mangels eines Kündigungsgrundes hätte fortgeführt werden müssen. Da aber gerade das nicht passiert ist, hat der Anbieter für die Mehrkosten einzustehen, welche dem Kunden infolge des vertragswidrigen Belieferungsstopps entstanden sind.
Gerade Betroffenen mit hohem Strom- oder auch Gasverbrauch kann somit ein nicht unerheblicher Ersatzanspruch zustehen.
Ebenfalls möglich ist es, Ihren Anbieter auf Fortführung des Vertrages in Anspruch zu nehmen. Ob dies auch sinnvoll ist, lässt sich derzeit jedoch kaum beurteilen. Auch erscheint es zumindest fraglich, wie viele Verbraucher tatsächlich bereit sind, erneut in die unlauteren Anbieter zu vertrauen.
Günstige Alternativen suchen und den Schaden dokumentieren
Sollten Sie Ersatz des Ihnen entstandenen Schadens anstreben ist die sogenannte Schadensminderungspflicht zu beachten. Hiermit gemeint ist, dass auch der Geschädigte den Schaden nicht mutwillig auf Kosten des Schädigers erhöhen darf.
Hieraus folgt für Sie, dass etwa ein überlanges Verbleiben in der Grundversorgung nicht erstattungsfähig ist. Standen günstigere Anbieter zur Verfügung und Sie nutzten trotzdem weiter einen Grundversorger, so steht Ihnen ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Wechsel problemlos möglich gewesen wäre, nur die Differenz zu den marktüblichen Versorgungskosten zu.
Ebenfalls sollte darauf geachtet werden, die Zählerstande des Strom- und Gaszählers bei Vertragsende mit dem ursprünglichen Anbieter, bei Vertragsende der Ersatzversorgung sowie bei Geltendmachung des Anspruches zu dokumentieren (etwa per Foto mit aktueller Tageszeitung), um Ihren Schaden nachweisen zu können.
Die Berechnung Ihres Schadensersatzanspruches
Um Ihren Anspruch durchzusetzen, müssen Sie diesen zunächst beziffern können. Hierzu ist notwendig, dass Sie wissen, welche Mehrkosten Ihnen durch den erzwungenen Anbieterwechsel entstanden sind. Maßgeblich für die Berechnung ist der nächstmögliche Zeitpunkt, zu welchem Ihr Anbieter ordentlich kündigen konnte (Restvertragslaufzeit).
Zu vergleichen ist also, wieviel Sie für den Strom innerhalb der Restvertragslaufzeit bei dem vorherigen Anbieter gezahlt hätten und wieviel Sie bei Ihrem derzeitigen Anbieter sowie dem zwischenzeitlich genutzten Grundversorger innerhalb dieser Zeitspanne zahlten. Ihr Schaden setzt sich aus der Differenz zwischen den Preisen zusammen, welche bis zur nächsten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit des Anbieters anfallen. Online finden sich teilweise Berechnungstools, welche die Ermittlung der Anspruchshöhe etwas erleichtern.
Können Sie die Höhe der Differenz und somit Ihren Anspruch beziffern, können Sie sich zunächst mit einem entsprechenden Anspruchsschreiben an Ihren Anbieter wenden. Ein Musterschreiben des VSVBB finden Sie hier:
Musterschreiben bei überraschender Kündigung des Energieversorgers
Ein Tool zur Erstellung der hierfür ebenfalls notwendigen Aufstellung Ihrer Mehrkosten hat die Verbraucherhilfe-Stromanbieter erstellt. Dieses ist hier abrufbar.
Trotz der aus unserer Sicht eindeutigen Rechtslage blocken die in Rede stehenden Anbieter jedoch oft ab oder versenden Vergleichsangebote, welche außerhalb jedes Verhältnisses zum eigentlichen Anspruch stehen. Auf letztere sollte daher nur dann eingegangen werden, wenn Sie auf keinen Fall beabsichtigen, weiter gegen Ihren Anbieter vorzugehen.
Handlungsmöglichkeiten bei Weigerung des Anbieters
Auch wenn sich Ihr Anbieter sich gegen Ihr Rückzahlungsverlangen sträubt, bestehen mehrere Möglichkeiten weiter gegen diesen vorzugehen.
Schlichtungsantrag
Einerseits kann die Durchsetzung weiterhin auf eigene Faust betrieben werden, indem Sie einen sogenannten Schlichtungsantrag bei der Schlichtungsstelle Energie einreichen.
Das Einreichen ist auch online problemlos möglich und setzt lediglich voraus, dass Sie sich zuvor bereits selbstständig an Ihren Energieversorger gewandt haben sowie, dass Sie Ihren Anspruch nachvollziehbar beziffern können. Der Schlichtungsantrag muss eine Schilderung des Sachverhalts, die Vertragsunterlagen sowie auch die bisherige Korrespondenz mit Ihrem (früheren) Anbieter in der Sache enthalten. Eine entsprechende Checkliste findet sich auch in den FAQ der Schlichtungsstelle.
Wurde der Antrag vollständig eingereicht, wendet sich die Schlichtungsanstelle an Ihren Anbieter und setzt diesen über den Antrag in Kenntnis. Dieser kann Ihnen nun einen Einigungsvorschlag unterbreiten. Kommt es zu keiner Einigung unterbreitet die Schlichtungsstelle selbst einen solchen Vorschlag, welcher jedoch ebenfalls nicht zwingend ist.
Eine zustande gekommene Einigung wirkt wie ein gerichtlicher Vergleich und schließt weitere Ansprüche aus. Bleibt eine Einigung aus, spricht die Schlichtungsstelle zumindest eine Empfehlung aus, in welcher diese die Sachlage aus Ihrer Sicht beurteilt.
Das gesamte Verfahren vor der Schlichtungsstelle ist für Sie kostenlos.
Anwalt oder Online-Rechtsdienstleister beauftragen
Eine andere Möglichkeit besteht in der Beauftragung eines Anwaltes oder auch Online-Rechtsdienstleisters.
Im Hinblick auf die Beauftragung eines Anwaltes sind zunächst die Kosten zu beachten, welche zumindest nicht außer Verhältnis zur Höhe Ihres Anspruches stehen sollten. Im Falle einer berechtigten Geltendmachung sind die Kosten von Ihrem Anbieter zu tragen. Bis es zu einer Rückerstattung kommt, kann jedoch einiges an Zeit vergehen, in welcher der Anbieter im schlimmsten Fall bereits Insolvenz angemeldet hat. Auch hier lohnt es sich daher die Höhe Ihres Anspruches selbst zu berechnen und in einem ersten Schritt per Schreiben auf Ihren Anbieter zuzugehen. Wenn dieser Ihren Anspruch negiert, steht Ihnen der Weg zum Anwalt noch immer offen.
Auf dem Markt der Online-Rechtsdienstleister beschäftigen sich derzeit erst wenige Marktteilnehmer mit den Kündigungen von Stromio, Gas.de und Grünwelt Energie. Teilweise bieten diese eine eigenständige Berechnung Ihres Anspruches als Service an sowie ein für Sie kostenfreies Durchsetzungsmodell mit Erfolgsprovision. Gerade diese schlägt jedoch mit bis zu 33 Prozent der erstrittenen Schadensersatzsumme deutlich zu Buche. Für Betroffene mit eher niedrigen Anspruchssummen oder auch Vielbeschäftigte, ist allerdings auch ein Abschlag von 33 Prozent einem Verzicht auf die Geltendmachung noch immer vorzuziehen.
Zusammenfassung
Die Kündigungen der Stromanbieter Stromio, Gas.de und Grünwelt Energie trafen viele Verbraucher völlig überraschend. Angesichts der derzeit stetig steigenden Energiepreise bleibt abzuwarten, ob dieses Beispiel Schule macht.
Umso wichtiger scheint es, dass Betroffene sich Ihrer Rechte bewusst sind und aktiv gegen das vertragswidrige Verhalten der Energieanbieter vorgehen. Ob dies am besten auf eigene Faust oder auch durch zur Hilfenahme eines Experten geschieht, hängt stark von der Höhe des entstandenen Schadens sowie auch von der dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Zeit ab.
Sicher ist jedoch, dass es sich oft lohnen kann, den eigenen Anspruch zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen, anstatt das Geld bei den unlauter agierenden Anbietern zu belassen.
Fragen und Antworten zur Kündigung von Stromverträgen
Jetzt VSVBB-Mitglied werden
Werden Sie stimmberechtigtes Mitglied und helfen Sie uns damit, Verbraucher zukünftig nicht nur über ihre Rechte aufzuklären, sondern sie auch kostenfrei vor Gericht vertreten zu können! Das ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich.
Gleichzeitig profitieren Sie von mehreren Vorteilen, wie etwa einer kostenlosen Erstberatung pro Quartal durch einen erfahrenen Verbraucheranwalt.