Leitentscheidungsverfahren des BGH – Rechtssicherheit für Verbraucher schneller möglich?
Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) stellte zu Juni dieses Jahres einen Gesetzesentwurf vor, welcher die Abwicklung von Massenschadensfällen beschleunigen soll. Durch die Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens soll der Bundesgerichtshof (BGH) künftig deutlich schneller über Fallkonstellationen entscheiden können, welche eine Vielzahl von Personen und daher auch eine Vielzahl von Verfahren betreffen.
Bundesgerichtshof soll schneller richtungsweisend entscheiden können
Um dies umzusetzen, enthält der Gesetzesentwurf des BMJ zwei grundlegende Änderungen des deutschen Zivilverfahrensrechts.
Künftig soll der BGH ein bei diesem anhängiges Verfahren zu einem sogenannten Leitverfahren bestimmen können. In diesem Fall können andere Gerichte mit ähnlichen Verfahren diese aussetzen, also passieren. Notwendig hierfür ist die Zustimmung von Beklagten und Kläger.
Um ein Verfahren zum Leitverfahren bestimmen zu können, muss dieses bereits beim BGH anhängig sein, also bereits zumindest zwei Instanzen durchlaufen haben und nun zur Entscheidung durch den BGH anstehen.
Die weitere avisierte Änderung betrifft den Umstand, dass ein zum Leitverfahren bestimmtes Verfahren nicht mehr durch den Willen der Parteien – also durch Kläger oder Beklagte – beendet werden kann. Hierin dürfte der bei weitem bedeutendere Teil der geplanten Anpassung liegen, denn bisher scheiterten schnelle, grundlegende Entscheidungen des BGH oft an Klagerücknahmen oder vorzeitigen Vergleichen der beteiligten Parteien.
Gesetzesänderung soll Verzögerungen durch Taktieren vorbeugen
Grundsatzentscheidungen des BGH verzögern sich oft über Jahre. Dies nicht nur aufgrund der langsam arbeitenden Justiz, sondern auch, weil beklagte Unternehmen versuchen, ihren Schaden durch Verzögerungstaktiken zu minimieren.
Dies geschieht oft, indem Unternehmen – wie etwa Volkswagen im Diesel-Abgasskandal – Verbrauchern lukrative Vergleiche anbieten, wenn deren Verfahren in Kürze durch den BGH entschieden werden sollen und der Eindruck entsteht, dass das betroffene Unternehmen unterliegen könnte.
Für die Unternehmen ist dies vor allem deshalb attraktiv, weil andere Verbraucher vor Klagen zurückschrecken werden, solang keine höchstrichterliche Rechtsprechung und somit Sicherheit über die eigenen Erfolgschancen besteht. Auch in die Hände der Unternehmen spielt in diesem Fall, dass die Gerichte in den unteren Instanzen teils weiterhin gegen Verbraucher entscheiden und so weitere abschreckende Signale produzieren.
Durch die geplante Anpassung der Zivilprozessordnung würde ein solches Taktieren zumindest auf Ebene des BGH unmöglich. Denn auch wenn die Parteien beschließen das Verfahren nicht mehr weiterführen zu wollen, kann dieser über ein bereits zum Leitverfahren erklärtes Verfahren weiterhin entscheiden.
In diesem Fall soll das entstehende Urteil nach dem Entwurf als Orientierung für Folgeentscheidungen der unteren Instanzen dienen, jedoch keinerlei Wirkung für das eigentliche, der Leitentscheidung zugrundeliegende Verfahren mehr entfalten.
Teilweise Kritik an zurückhaltender Regelung
Der vorgestellte Gesetzesentwurf stößt auf breite Zustimmung von Seiten einer Justiz, die bereits seit Jahren unter einer Überzahl von Verfahren im Zuge sogenannter Massenschadensfälle ächzt. Teils stößt der Vorstoß jedoch auch auf Kritik. Dies vor allem deshalb, weil dieser erst auf Ebene des BGH und somit am letzten Glied des Instanzenzuges ansetzt.
So kann der Regelung vorgehalten werden, dass bereits bis zur Anhängigkeit eines Verfahrens beim BGH in der Regel Jahre vergehen. Auch die zuvor befassten Gerichte leiden nämlich oft unter einer zu hohen Arbeitsbelastung. Möglich wäre daher auch, dem BGH zu eröffnen, bereits Prozesse der unteren Instanzen für Leitentscheidungen heranzuziehen. Dies ginge allerdings lediglich zu dem Preis, dass die Vorarbeit der Vorgerichte durch BGH zu leisten wäre. Ob hierdurch ein Zeitgewinn entstünde, ist fraglich.
Weiterhin angemerkt wird teilweise, dass die Möglichkeit von Unternehmen, Verfahren “wegzukaufen” auch weiterhin bestehe. Diese habe sich lediglich auf einen früheren Zeitpunkt verlagert. Auch hier lässt sich allerdings anbringen, dass der Kreis potentiell risikobehafteter Verfahren auf den unteren Instanzen deutlich größer und die Möglichkeit Entscheidungen durch Zahlungen zu verhindern daher zumindest eingeschränkt wäre.
Zusammenfassung
Die vorgeschlagene Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens seitens des BMJ ist zu begrüßen und bildet gemeinsam mit der Musterfestellungs- sowie der geplanten Abhilfeklage einen weiteren Baustein zur schnellen und effizienten Schaffung von Rechtssicherheit für Verbraucher.
Entscheidend für den Erfolg der Bemühungen um Beschleunigung der Aufklärung von Massenschadensfällen wäre bei Verwirklichung des Gesetzesvorhabens vor allem die tatsächliche Handhabung durch den BGH. Die Auswahl geeigneter – also von beiden Seiten informiert und handwerklich gut geführter – Prozesse für die Leitverfahren dürfte hier entscheidend sein.