Kreditwiderrufsfrist – BGH und EuGH weiterhin uneinig
Die Rechtslage in Bezug auf den Widerruf von Verbraucherkrediten bleibt schwer durchschaubar. Trotz verbraucherfreundlicher Positionierung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), erkennt der Bundesgerichtshof (BGH) ein Kreditwiderrufsrecht nur unter hohen Hürden an. Auch ob ein Widerruf zukünftig überhaupt noch in bestimmten Konstellationen zeitlich unbegrenzt erklärt werden kann, erscheint derzeit noch unklar.
Der VSVBB erklärt, worum es beim sogenannten “ewigen Widerrufsrecht” geht und wann dieses ausgeübt werden kann.
Kreditwiderruf – worum geht es?
Schließt ein Verbraucher einen Kreditvertrag, kann dieser grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen ab dem Vertragsschluss frei widerrufen werden. Ist der Darlehensvertrag mit einem weiteren Vertrag verknüpft, erstreckt sich der Widerruf des Darlehensvertrages immer auch auf den jeweils verbundenen Vertrag. So kann etwa ein per Finanzierung erworbenes Fahrzeug zurückgegeben werden, wenn der Finanzierungsvertrag widerrufen wird.
Über das Widerrufsrecht sind Verbraucher im Wege einer sogenannten Widerrufsbelehrung aufzuklären. Dieser streng formalisierte Aufklärungsbogen ist Kreditverträgen meist angehängt und zeigt Verbrauchern auf, wann ein Widerruf möglich ist und wie dieser geltend gemacht werden kann. Zudem muss ein Verbraucherdarlehensvertrag zwingend zahlreiche Informationen – etwa zu den Folgen frühzeitiger Rückzahlung, möglichen Zinsanpassungen und sogenannten Verzugszinsen – enthalten.
An diesen strengen formalen Vorgaben entfacht sich jedoch schon seit Jahren reichlich Streit, welcher immer wieder auch die Justiz – nicht zuletzt auch EuGH und BGH – beschäftigt. Grund sind die schweren Folgen, die eine fehlerhafte Verträge oder Belehrungen zur Folge hat:
Sind die Angaben im Vertrag oder auch innerhalb des Aufklärungsbogens fehlerhaft, fängt die sogenannte Widerrufsfrist nicht an zu laufen. Verbraucherdarlehen und die mit ihnen verbundenen Verträge können in der Folge nicht nur zwei Wochen, sondern so lange widerrufen werden, bis der Kreditgeber die entsprechenden Informationen nachholt.
Genaue Anforderungen bleiben unklar
Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten waren zum einen mehrere Formulierungsarten der Widerrufsbelehrung.
So wurde etwa darum gestritten, ob es für eine zutreffende Aufklärung ausreichend ist auf eine Norm zu verweisen, welche wiederum auf eine andere Norm verweist, letztere aber nicht mit aufzuzählen (sog. Kaskadenverweis). Der EuGH sah den betreffenden Aufklärungsbogen als unwirksam an, da dieser gegen europäisches Recht verstoße (Urteil vom 26. März 2020, Az. C-66/19).
Artikel 10 der EU-Richtlinie 2008/48 schreibt vor, dass die Modalitäten des Widerrufs in der Widerrufsbelehrung “klar und prägnant” aufgezeigt werden müssen. Die Bezugnahme auf einen Paragraphen der seinerseits die Folge eines Widerrufes gar nicht selbst enthält, wird diesen hohen Anforderungen nach Meinung des EuGH jedoch nicht gerecht.
Hiervon wich der BGH allerdings ab und erklärte, dass zumindest, wenn Darlehensgeber das vom Gesetzgeber veröffentlichte Musterformular für die Widerrufsbelehrung verwendeten, deren Wirksamkeit trotz “Kaskadenverweis” gegeben sein müsse (Beschluss vom 31. März 2020, Az. XI ZR 198/19). Wie sich diese Meinungsdifferenz auf die Chancen von Verbrauchern in den unteren Instanzen auswirkt, ist noch unklar.
In einer weiteren Entscheidung des EuGH (9. September 2021, Az. C-33/20, C-155/20 und C-187/20) stellte dieser klar, dass die Widerrufsfrist auch dann nicht zu laufen beginne, wenn im jeweiligen Darlehensvertrag:
- mögliche Verzugszinsen nicht angegeben wurden,
- keine Angaben zum Anpassungsmechanismus trotz variabler Zinshöhe gemacht wurden, oder auch
- die Berechnungsmethode für die Vorfälligkeitsentschädigung nicht angegeben wurde.
Eine Positionierung des BGH zu letzterer Entscheidung des EuGH steht bislang noch aus. Dass dieser die Entscheidung vollumfänglich bestätigt, erscheint angesichts dessen darlehensgeberfreundlichen Rechtsprechung in der Vergangenheit jedoch unwahrscheinlich.
Wann ist ein Widerruf attraktiv
Einen Darlehensvertrag zu widerrufen ist nicht immer sinnvoll. Gerade bei höheren Beträgen empfehlen wir, noch vor dem Widerruf rechtlichen Rat einzuholen.
Fallgruppen, in denen ein Widerruf von Vorteil sein kann, sind insbesondere:
- ein hochverzinstes Darlehen, welches derzeit günstiger angeboten wird,
- ein vor Fälligkeit abbezahltes Darlehen für welches Vorfälligkeitszins veranschlagt wurde, sowie
- ein Kredit zur Finanzierung einer Kaufsache, welche sich nach Ablauf der Gewährleistung als mangelhaft herausgestellt hat.
Was ist zu beachten
Verbraucher, welche ein Darlehen widerrufen wollen, sollten sich im Vorhinein stets die möglichen Konsequenzen ihres Widerrufes vor Augen führen.
Wird ein noch laufendes Darlehen widerrufen, ist dieses innerhalb von 30 Tagen zurückzuzahlen. Zinsansprüche der Bank, die bis zur Erklärung des Widerrufes angefallen sind, bleiben regelmäßig bestehen.
Wurde das Darlehen zur Finanzierung eines Kaufes abgeschlossen und mit diesem verbunden, ist zusätzlich zu beachten, dass mit Widerruf des Darlehens auch der Kaufvertrag rückabgewickelt wird. Der gekaufte Gegenstand ist also zurückzuzugeben und ein sogenannter Nutzungswertersatz an den Verkäufer zu zahlen.
Fehlerhafte Aufklärungsbögen betreffen zudem oft eine Vielzahl von Fällen. Das Interesse der Kreditinstitute hier Rückabwicklungen zu verhindern ist dementsprechend groß. Sollte Sie Ihren Kredit widerrufen wollen, ist daher nicht selten mit langwierigen Rechtsstreitigkeiten zu rechnen. Ohne entsprechende Rechtsschutzversicherung ergibt sich auch hieraus ein nicht zu unterschätzendes Kostenrisiko.
EU berät über generelle Begrenzung der Widerrufsfrist
Nach Recherchen des NDR sowie der Süddeutschen Zeitung beraten EU-Rat und EU-Parlament derzeit darüber das Zeitfenster für Widerrufe – auch bei Vorliegen eklatanter Fehler – generell auf einen Zeitraum von einem Jahr und 14 Tagen zu begrenzen.
Eine öffentliche Positionierung der EU steht derzeit noch aus. Sollte es jedoch hierzu kommen, würde einer der Hauptvorteile der oft als “ewiges Widerrufsrecht” bezeichneten Gestaltungsmöglichkeit entfallen: Die Möglichkeit sich aus Darlehensverträgen zu lösen, welche sich aufgrund hoher Komplexität erst nach langer Zeit als überteuert oder unvorteilhaft herausstellen.
Zusammenfassung
Der sogenannte Widerrufsjoker wird seinem Namen nicht in jedem Fall gerecht, denn nur bei äußerst nachteiligen Verträgen dürfte sich das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten tatsächlich lohnen.
Für von Dieselskandal betroffene Fahrzeughalter dürfte es hier oft näher liegen auf Rückgabe gegen den Hersteller zu klagen. Wann eine solche Klage Aussicht auf Erfolg hat und warum diese auch nach Ablauf der Regelverjährung von drei Jahren noch möglich ist, erfahren Sie hier.