BGH verhandelt bisher größte Fallgruppe im Dieselskandal 

14. Mai 2023
Am 08. Mai verhandelte der BGH gleich drei Verfahren im Diesel-Abgasskandal. Während dieser in der Wahrnehmung vieler Verbraucher bereits abgehakt ist, könnte das Verfahren den bisher größten Schadensersatzfall Deutschlands noch einmal ganz neu aufrollen. 

Der BGH verhandelte am Montag, dem 08. Mai erneut im Abgasskandal. Gegenstand waren verschiedene Klagen bezüglich dreier Fahrzeugtypen, deren Halter Schadensersatzansprüche wegen vermeintlicher Manipulationen geltend machten.  

Die Verhandlung wurde zunächst verlegt, nachdem das jüngste Urteil des EuGH zum Thema Thermofenster nicht mehr haltbar erscheinen ließ. 

Tendenz zu “mittlerem” Schadensersatz 

Die Verhandlungen am Montag wurden von Medien und Experten mit großer Spannung erwartet. Nicht selten lassen die obersten Zivilrichter nämlich bereits in diesen erkennen, wie das spätere Urteil ausfallen wird. 

Eindeutig festlegen wollten sich diese am Montag jedoch noch nicht, wie mehrfach betont wurde. Trotz dessen, sehen Prozessbeobachter eine klare Tendenz des Gerichts zur Entscheidung für einen sogenannten mittleren Schadensersatz. 

Dies heißt zunächst, dass die Halter von betroffenen Fahrzeugen diese wahrscheinlich nicht – wie beim VW-Motor EA189 der Fall – zurückgeben können, um hierfür den Kaufpreis des Fahrpreises erstattet zu erhalten. Vielmehr soll die Wertdifferenz zwischen dem Fahrzeug in manipuliertem Zustand und dem eigentlich geschuldeten – gesetzesgemäßen – Zustand verlangt werden können. Der Grund für die Andersbehandlung, liege darin, dass die nun verhandelten Fälle weniger schwerwiegende Verstöße beträfen. 

Völlig unklar ist jedoch noch, wie der “mittlere” Schadensersatz zu berechnen sein wird. Verbraucheranwälte argumentieren, dass ein gesetzeswidriges Fahrzeug gar keinen Wert haben könne, da dieses nicht betrieben werden dürfte. Herstelleranwälte hingegen wollen erst dann einen Schaden erkennen, wenn tatsächlich die Stilllegung droht. 

Thermofenster statt Prüfstandserkennung 

Den im jetzigen Verfahren verhandelten Fahrzeugtypen (ein VW Passat mit EA 288 Motor, ein Audi SQ5 sowie ein Mercedes mit OM651 Motorisierung) ist sämtlich gemein, dass diese nicht über eine  Prüfstandserkennung verfügen, sondern über ein sogenanntes Thermofenster. 

Die Prüfstandserkennung beschreibt einen Teil der Fahrzeugsoftware, welche erkennt, dass sich das Fahrzeug, auf dem zur Prüfung der Abgasreinigung genutzten Prüfstand befindet. Ist dies der Fall, wird die Abgasreinigung vollständig genutzt, im Normalbetrieb auf der Straße hingegen findet keine Abgasreinigung statt. 

Während diese Technik im EA 189 Motor des VW-Konzerns zum Einsatz kam und den Abgasskandal ursprünglich auslöste, nutzten die Hersteller in allen der nun verhandelten Fahrzeuge sogenannte Thermofenster. 

Hiermit wird eine Funktion bezeichnet, welche dafür sorgt, dass die Abgasreinigung in den betreffenden Modellen außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters sukzessive abgeschaltet wird. Eine komplette Abschaltung erfolgt – wenn überhaupt – nur bei sehr niedrigen oder extrem heißen Temperaturen. 

BGH muss sich an Urteil des EuGH orientieren 

Bisher lehnte der BGH den Zuspruch von Schadensersatz aufgrund der Verwendung von Thermofenstern kategorisch ab.  

Bisher galt nach dessen Maßgaben nämlich stets, dass ein Schadensersatzanspruch im Rahmen des Abgasskandals eine “sittenwidrige Schädigung” voraussetzt. Eine solche ist jedoch nur dann gegeben, wenn nicht nur das Vorhandensein einer illegalen Abschalteinrichtung nachgewiesen wird, sondern auch, dass der Hersteller um die Illegalität wusste und diese sowie deren Folgen in Kauf nahm.  

In Bezug auf Thermofenster gelang dieser Nachweis jedoch nie, da die Hersteller stets vertraten, dass diese die Technik in gutem Glauben über deren Legalität verwendeten und diese zudem auch technisch notwendig sei. 

Seit dem Urteil des EuGH vom 21. März dieses Jahres ist diese Rechtsprechung jedoch nicht mehr haltbar. Kernaussage der Entscheidung des EuGHs war, dass bereits fahrlässige Verstöße gegen die Bestimmungen über die Abgasreinigung eine Schadensersatzpflicht auslösen können.  Das vom BGH zunächst verlangte Wissen der Hersteller ist daher nicht mehr notwendig. 

Zusammenfassung 

Die Verhandlungen des BGH lassen erkennen, dass dieser gewillt ist, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen und dessen Maßgaben umzusetzen. Ganze acht Jahre nach Beginn des Abgasskandals könnte dieser somit nun mit abermals Millionen betroffenen Fahrzeugen seinen Höhepunkt erreichen. 

Unklar bleibt, wie der eigentliche Schaden zu berechnen sein wird. Hier bleibt zu hoffen, dass die obersten Zivilrichter ein einfaches und verbraucherfreundliches Modell finden, um erneute Unklarheiten und jahrelange Rechtsstreite zu vermeiden. 

 

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