Landgericht Frankfurt kippt Tarifunterschiede für Neukunden in der Grundversorgung
Mit Beschluss vom 18. Februar bewertete das Landgericht Frankfurt die unterschiedliche Behandlung von Neu- und Bestandskunden in der Ersatz- und Grundversorgung als unzulässig. Vor dem Hintergrund des plötzlichen Aus von Grünwelt Energie, Stromio und Gas.de gibt die Entscheidung vielen betroffenen Verbraucher Anlass zu hoffen.
Unterschiedliche Tarife wettbewerbswidrig
Das Landgericht erklärte die unterschiedlichen Tarife des Energielieferanten Mainova in der Grund- und Ersatzversorgung für wettbewerbswidrig. Dieser hatte angesichts der exponentiell gestiegenen Energiepreise und dem – vor allem durch plötzliche Kündigungen bedingten – Zufluss einer Vielzahl von Kunden gesonderte Preise für Neukunden im Grundversorgungstarif eingeführt. Diese lagen zeitweilig mehr als 170 Prozent über den Preisen, welche Bestandskunden zu zahlen hatten. Auch zum Zeitpunkt der Entscheidung lag der Neukundentarif des Anbieters mit ca. 57 Cent pro Kilowattstunde noch immer fast deutlich über dem Bestandskundentarif (ca. 33 Cent pro Kilowattstunde).
Diese Praxis beurteilte das Landgericht Frankfurt nun als rechtswidrig. Die hierhingehende Verfügung des Landgerichts erging im Eilverfahren und daher ohne eine mündliche Verhandlung. Da die Mainova AG bereits Widerspruch eingelegt hat, ist mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen.
Energieversorger müssen zusätzlichen Strom oft teuer einkaufen
Oft übernimmt das jeweilige Stadtwerk die Rolle des Grundversorgers. Dieser ist nämlich immer der Energieversorger, welcher im jeweiligen Netzgebiet die meisten Kunden mit Strom bzw. Gas beliefert.
Das Geschäftsmodell der Stadtwerke bzw. etablierten Anbieter basiert jedoch, anders als bei vielen neueren Marktteilnehmern, meist auf langfristiger Kalkulation. Zukünftig benötigte Strommengen werden daher oft schon geraume Zeit im Voraus eingekauft, so dass die aktuell rasant steigenden Energiekosten zunächst nur begrenzte Auswirkungen auf die Profitabilität der Grundversorger haben.
Da nun aber durch Kündigungswellen vieler kurzfristig agierender Anbieter massenhaft Neukunden in die Grundversorgung gelangen, reichen die kalkulierten Strommengen oft nicht mehr aus. In der Folge müssen nun also auch Grundversorger kurzfristig zusätzliche Energie zu hohen Preisen einkaufen. Diese Mehrkosten sollen daher in Form der Neukundentarife an Verbraucher weitergegeben werden.
Mehrere Gerichte entschieden zuvor entgegengesetzt
Das Landgericht Frankfurt steht mit seiner Rechtsauffassung derzeit noch weitgehend allein. Zuvor entschieden bereits das Landgericht Berlin, das Landgericht Leipzig und auch das Landgericht Köln zugunsten der Grundversorger und erklärten die unterschiedlichen Tarife für zulässig.
Eine Gleichbehandlung von Neu- und Bestandskunden könne dem Grundversorger nach Ansicht der ablehnenden Gerichte nicht zugemutet werden. Müssten diese für sämtliche Kunden dieselben Preise anbieten, könnte dies die Unternehmen schnell in wirtschaftliche Not oder gar den Ruin treiben. Eine Preiserhöhung für Bestandskunden ist nämlich nach den gesetzlichen Vorschriften nur mit einer Vorlauffrist von sechs Wochen möglich. In der Zwischenzeit müsste die Unternehmen die gestiegenen Energiekosten daher aus eigener Tasche zahlen.
Hierhingehend hat sich auch die Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen geäußert. Diese erstellte ein Kurzgutachten zu der Thematik auf welches viele der ablehnend entscheidenden Gerichte Bezug genommen haben.
Rechtslage ist keineswegs eindeutig
Welche Rechtsauffassung sich letztlich durchsetzt, scheint derzeit noch völlig offen. Eine Entscheidung der Oberlandesgerichte oder gar des Bundesgerichtshofes steht noch aus. Auch ein Urteil wurde in der Sache noch nicht gefällt. Sämtliche bisherigen Entscheidungen ergingen lediglich in Beschlussform.
Dass Energieunternehmen bei gleichen Preisen für sämtliche Kunden in der Grund- bzw. Ersatzversorgung wirtschaftliche Nachteile drohen, scheint nur schwer zu bestreiten. Die Vereinbarkeit unterschiedlicher Preise mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ist jedoch trotzdem unklar. In dem einschlägigen Paragraphen 36 des EnWG heißt es nämlich: “Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung […] bekannt zu geben und […] zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.”
Kern des Rechtsstreits ist also, ob mit allgemeinen Preisen für jeden Haushaltskunden gleiche Preise für sämtliche Kunden im Grundversorgungstarif gemeint sind oder das Gesetz auch die Bildung verschiedener Preiskategorien innerhalb der Tarifgruppe zulässt.
Verbrauchern könnte ein Anspruch auf Rückerstattung zustehen
Sollte sich die Rechtsansicht des Landgerichts Frankfurt durchsetzen, könnte betroffenen Verbrauchern eine Rückerstattung der Differenz zwischen Bestands- und Neukundentarif zustehen. Ziel der vor dem Landgericht Frankfurt angestrengten Klage war dies jedoch nicht. Der dortige Kläger – ein Ökostrom-Anbieter namens LichtBlick – nahm den Energieversorger auf Unterlassung, nicht aber auf Schadensersatz in Anspruch.
Trotz der unklaren Rechtslage sollten sich betroffene Verbraucher an ihren Grundversorger wenden und eine Gleichbehandlung einfordern. Sollte sich die Rechtslage zugunsten der Endabnehmer weiter verfestigen, könnte eine frühestmögliche Forderung die Anspruchsdurchsetzung zumindest erleichtern.
Zusammenfassung
Mit Beschluss vom 18.02.2022 betrat das Landgericht Frankfurt erstmals Neuland und erklärte die Ungleichbehandlung von Neu- und Bestandskunden im Grundversorgungstarif für unzulässig. Hiermit stellte sich dieses gegen die Landgerichte Berlin, Leipzig und Köln sowie gegen die Rechtsauffassung der Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen.
Ob betroffene Verbraucher tatsächlich auf eine Rückerstattung zu hoher Grund- bzw. Ersatzversorgungspreise hoffen können, bleibt also zunächst unklar. Schon jetzt sollten Betroffene eine Gleichstellung mit Bestandskunden jedoch aktiv einfordern um eine eventuelle, spätere Rückerstattungsforderung zu erleichtern.